Der Junge muss mal raus und unter Leute

Gveleti Wasserfall

von | 23.10.2022 | Fotos, Stepantsminda, Zu Fuß

Das Wetter ist hier sehr wechselfreudig. Heute am Morgen und im Vormittag war es recht grau, also hab ich Wäsche gewaschen. Im Waschbecken, wie sich das für Rucksacktouristen gehört. Die haben hier zwar eine Maschine und meine Gastgeberin stellt die freundlicherweise auch für die Allgemeinheit zur Verfügung, allerdings war die leider besetzt. Aber ich bin ja vorbereitet und hatte mir in Tiflis noch Waschmittel gekauft, was sich bereits ein paar Mal als gute Investition beweisen konnte.

Im Nachmittag klart es dann plötzlich auf und ich beschließe spontan zum Gveleti Wasserfall zu fahren. Gut, fahren lassen um genau zu sein. Ich habe keinen Lappen und selbst wenn, wäre selbst fahren hier verrückt. Ich würde so gerne mal einen deutschen Fahrlehrer mit versteckter Kamera ins Auto setzen. Ich dachte ja schon in Tiflis wäre der Fahrstil “grob”, aber da habe ich noch nicht die Jungs und Mädels aus Stepantsminda auf dem Radar gehabt.

Überholen mitten in den Serpentinen ohne Sicht auf den Gegenverkehr? Check! Überholen im Tunnel ohne Licht? Check! Mit 80 auf Kühne, Schweine, Pferde, Hunde, Schafe, Katzen zuhalten, wild hupen und hoffen, daß die aus dem Weg gehen? Check! Auf der Gegenspur fahren weil die eigene von Schlaglöchern zersetzt ist und im letzten Moment einschwenken? Check!

Einer der Gründe warum ich so gerne mit Giorgi fahre ist, daß er vorsichtig fährt. Er erklärt das so. “This is Gerogia, my darling, people rent car or mommy or daddy buy it. When not their own car they drive like shit because they hand in car and not their problem or they say mommy, daddy, I need new car. This is my own car, I pay for it, it’s expensive, so I don’t drive like shit.” Love that guy!

Heute fährt mich ein anfangs grummeliger Herr, den meine Gastgeberin spontan organisieren konnte. Wir fahren in einer 4×4 Offroad Variante eines Mitsubishi Delica. Solides Fahrzeug, das sämtliche Hindernisse auf dem Weg ohne Probleme meistert. Ich vermute, daß ist nicht sein eigenes Fahrzeug. Langsam fahren wir nur auf den letzen Metern der Strecke bevor es nur noch zu Fuß weitergeht, und auch nur, weil sonst das Auto ohne Ölwanne bzw. mit Panoramafenster im Boden zurückgekehrt wäre. Hier braucht man wirklich Allrad, sonst kann man die meisten Strecken abseits der Hauptstraßen knicken.

Die letzten 20-25 Minuten geht es dann zu Fuß weiter, denn es geht teilweise recht steil bergauf. Zwischen den Granit und Schieferfelsen durch wurde ein Fußweg geschlagen. Es sind doch ein paar Leute unterwegs und haben das plötzliche gute Wetter ausgenutzt. Die meisten haben unpassendes Schuhwerk dabei, weshalb ich einen Großteil der Leute vom Anfang des Trails weder am Wasserfall selbst, noch auf dem Rückweg sehe. Denn auch wenn der Weg anfänglich noch recht passabel erscheint, wechselt das schnell zu einigen Kletterpassagen, die ohne Grip nicht ganz ungefährlich sind, wenn man bedenkt, daß es hier und dort direkt neben dem mit Geröll belegten Weg recht steil bergab geht.

Allerdings sind diese Passagen immer recht kurz weshalb ich nicht zu sehr aus der Puste komme. Außerdem greift wieder die goldene Regel dieses Landes: wer sich anstrengt wird mit Landschaft belohnt!

 

Und wenn man sich umdreht:

Sogar Bewegtbild

Schließlich holen einige der anderen Besucher auf und auch ein Reisegruppe sichte ich am Horizont. Das ist mein Zeichen mich zu verpissen, weil Menschen, plural!

Die Gruppe treffe ich in einer Enge, wo ich mich entschließe der Gruppe den Vortritt zu lassen. Es sind gute 8 Leute, alle am Keuchen, den die Passage vor den Enge ist recht steil und felsig. Ein Herr schaut mich erschöpft an: “How much longer” will er wissen. “Not much, maybe two or three minutes and it’s not that steep anymore. You made it through the worst part and the view is worth it, I promise”, erkläre ich. “Thank you, that is good to know. Could you motivate our friends as well? They are right down the hill”, fragt er sichtlich außer Atem. “I got you”, grinse ich und schüttele seine ausgestreckte Hand. Es folgen seine Kollegen, die sich nicht haben abschrecken lassen und ich steige danach den Fels herab um mein Versprechen einzulösen.

Eine knappe Minute später sehe ich zwei Frauen und einen Mann, dem Aussehen nach zu Urteilen sind das die zu Motivierenden. “Hi guys, are you part of the group I just met”, frage ich. “Yes, but we decided to wait for them, it’s too steep for us”, sagt eine der Frauen und stemmt dabei erschöpft die Arme in die Seiten. “Come one, it’s only this little climb and then you made it. Like three more minutes from here max! I promise it’s worth it and I know you can do it! You already have the worst behind you!” Ein skeptischer Blick der drei, “You swear”, fragt der Herr. “I do, it’s literally behind this climb!” Ich komme mir ein wenig vor wir ein Gebrauchtwasserfallverkäufer und grinse entsprechend einladend. “Ok, thank you for pushing us, we’ll try!” Auch diese drei geben mir die Hand. Ich helfe den Dreien natürlich noch die ersten Steine hoch, denn auch die haben nur Sneaker an. Und auch hier wird mir wieder die Hand geschüttelt. Nette Leute, denke ich mir und begebe mich zurück zu meinem Fahrer.

Der hat plötzlich gute Laune, denn er kommt mir grinsend entgegen, “Was good?”, fragt er. “Very much so!”, gebe ich ehrlich begeistert zu Protokoll. Das scheint ihn zu freuen, denn er scheint den ganzen Rückweg in wesentlich besserem Gemütszustand. Am Ende drücke ich ihm die vereinbarte Summe in die Hand woraufhin er mir die Hand gibt, sich bedankt, nochmals lächelt und dann abfährt. Die Leute brauchen ein Weilchen zum auftauen, aber scheinen immer ernsthaft erfreut, wenn man die Schönheit ihrer Heimat zu schätzen weiß.

Es ist später Nachmittag und ich habe noch nichts gegessen. Also heißt es Restaurant suchen, nur welches? Ich setze mich auf eine Bank und bemühe Google Maps mir doch bitte ein paar Optionen anzuzeigen. Während ich mich also durch die Möglichkeiten scrolle, bekomme ich plötzlich Besuch von einer streunenden Katze, die sich ohne große Ankündigung oder ein Miau einfach auf mich setzt. Damit verschiebt sich mein Essen um eine gute Stunde, den die Gute schläft einfach ein und ich bringe es nicht über’s Herz sie zu wecken. 

Leider habe ich den Fokus verkackt; Schande über mein Haupt!